Diese Woche schrieb mir Bonusmama Ramona und berichtete von den neusten Vorkommnissen in ihrer Patchworkfamilie: Ramonas Bonustochter Susi muss eine Zahnspange bekommen und wünscht sich eine Invisalign-Zahnspange. Ich wusste gar nicht erst, worum es sich handelt und durfte Mr. Google bedienen: Kurz gesagt handelt es sich um eine durchsichtige Zahnspange anstelle einer festen mit den bekannten fiesen, festen Brackets (wer kennt es nicht aus der Jugend?).
Susis Wunsch wurde noch dadurch verstärkt, dass Susis leibliche Mutter die Invisalign Behandlung auch als die beste Variante ansah. Soweit so gut. Man ahnt natürlich schon, wo der Hund begraben liegt: die Kosten dieser Behandlung sollen sich auf gut 6.000 € belaufen, die die Krankenkasse natürlich nicht übernimmt. Jetzt kommt der leibliche Vater ins Spiel, der die Frage beantworten darf, ob er die Kosten mitträgt?
Das Thema war schon gut aufgeheizt, denn die Entscheidungshoheit sollte bei Papa liegen, der dann final auch „schuld“ sein sollte, wenn Susi keine Invisalign-Zahnspange bekam. Um noch ein paar mehr Emotionen ins Thema zu geben, schlug Susis Mama noch vor, doch mal zu fragen, was Ramona ihrer eigenen Tochter (aktuell 5 Jahre alt) denn für eine Zahnspange mal bezahlen wird?
Der Sonderbedarf
Unabhängig von den zwischenmenschlichen Reibungsthemen steht erst einmal die Frage in Raum, was der leibliche Vater, der natürlich Unterhalt zahlt, denn überhaupt muss? Also zu welcher Zahlung er gesetzlich verpflichtet ist?
Hier ist der § 1613 Abs. 2 BGB interessant:
„Der Berechtigte kann für die Vergangenheit ohne die Einschränkung des Absatzes 1 Erfüllung verlangen 1. wegen eines unregelmäßigen außergewöhnlichen hohen Bedarfs (Sonderbedarf)“ {…}
Nach der Rechtsprechung muss es sich um Bedarf handeln, der überraschend und der Höhe nach nicht abschätzbar auftritt.
Dabei ist das Wort „unregelmäßig“ so zu verstehen, dass der Bedarf nicht mit Wahrscheinlichkeit vorauszusehen war und deshalb bei der Bemessung der laufenden Unterhaltsrente nicht berücksichtigt werden konnte. Unterhaltsrechtlicher Sonderbedarf wird auch dann anerkannt, wenn der Bedarf zwar voraussehbar ist, auf den sich der Berechtigte aber von der Kenntniserlangung bis zum Anfall nicht mehr rechtzeitig durch Ansparen hat einstellen können. Maßgebend ist, ob das Kind bzw. sein gesetzlicher Vertreter sich auf den Sonderbedarf hat einstellen können und Rücklagen aus dem laufenden Unterhalt bilden konnte.
Außergewöhnlich hoch ist dann anzunehmen, wenn dem Kind nicht zugemutet werden kann, den Bedarf selbst aus dem laufenden Unterhalt zu bestreiten. Vom Sonderbedarf erfasst werden nur außerhalb des gewöhnlichen Lebens liegende, plötzlich auftretende konkrete Bedarfsspitzen (Quelle: Die Höhe des Unterhalts, Beate Heiß und Hans Heiß, 12. Auflage, S. 346f).
Beispiele für Sonderbedarf sind:
- Krankheitskosten infolge eines Verkehrsunfalls
- Klassenreise, Abiturfahrt, Auslandsfahrten, Schullandheim und Skilager
- Nachhilfeunterricht
- Konfirmations- und Kommunionskosten
(Quelle: Die Höhe des Unterhalts, Beate Heiß und Hans Heiß, 12. Auflage, S. 347).
Auch die kieferorthopädische Behandlung wird von der Rechtsprechung seit dem Jahr 1981 (vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1981, 76) als Sonderbedarf angesehen.
Mit Urteil vom 26.06.2020 hat das OLG Frankfurt (Az. 4 UF 176/19) entschieden, dass der aus einer kieferorthopädischen Behandlung resultierende Zusatzbedarf einen Sonderbedarf im Sinne des § 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB darstellt, für den beide Elternteile anteilig nach ihren Einkommensverhältnissen haften. Im vorliegenden Fall hatten beide Eltern im Rahmen ihrer gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge dem Behandlungsplan zugestimmt. Es stand außer Frage, dass die nicht von der gesetzlichen Versicherung übernommenen Behandlungskosten von 2.000 € nicht aus dem laufenden Unterhalt bestritten werden konnten.
Im Streitfall ging es jedoch um die Frage der Angemessenheit von sog. „Speed Brackets“.
Google lieferte hier folgende Information: Bei Speed Brackets handelt es sich um selbstligierende Brackets, die kleiner als übliche Brackets sind und eine Behandlung schmerzfreier und schneller erfolgt.
Die medizinische Notwendigkeit der Verwendung von Speed Brackets war nicht vorgetragen wurden. Das OLG entschied, dass die zur Begründung der Behandlung mit Speed Brackets vorgetragene Verkürzung der Behandlungsdauer um drei Monate unter gleichzeitiger Gewährleistung einer besseren Zahnreinigung während der Therapie unter Berücksichtigung der Einkommensverhältnisse der Beteiligten ausreichten, um die Annahme der Angemessenheit zu bestätigen. Die Kostenübernahme erfolgte entsprechend des zwischen den Streitgegner festgelegten Haftungsanteils.
Ob ein Gericht bei einer Invisalign-Behandlung ebenfalls die Angemessenheit bejahen würde, steht natürlich in den Sternen. Hier wird es sicherlich auf den Einzelfall und die dort vorherrschenden Einkommensverhältnisse ankommen sowie die Begründung für die Behandlung.
Aber so weit war Ramona ja auch nicht, dass vor Gericht gestritten wurde.
Das Thema ist nichtsdestotrotz ein bisschen anders zu sehen als die üblichen „Papa zahlt nicht-Themen". Geht es doch bei manchen Streitereien oft darum, ob das Bonuskind ein Iphone bekommt oder ein „nur“ ein schlichtes Smartphone, ist hier die Gemengelange etwas anders. Schließlich geht es um das gesundheitliche Wohl des Kindes. Und wer will da schon derjenige sein, der anfängt zu sparen oder gar dem Kind einen Herzenswunsch abschlägt?
Ramona suchte die Kommunikation zur leiblichen Mutter. Diese erläuterte ihren Vorschlag dergestalt, dass es für ein pubertierendes Mädchen nicht leicht sei, als einzige (!!) eine feste Zahnspange mit Brackets zu haben, während die anderen Mädchen in den Genuss einer Invisalign-Zahnspange kämen.
Wer ein wenig kindererfahren ist, ahnt schon, was beim Gespräch von Susi und ihrem Papa herauskam: natürlich kommen nicht alle Mädchen in den Genuss einer Invisalign-Zahnspange (Stichwort: „Alle meine Freunde haben Iphones. Nur ich nicht.“).
Susi wünschte sich trotzdem eine Invisalign-Zahnspange, da sie sich mit einer festen Zahnspange selber nicht gefallen würde. Der liebe Papa gab alles, kramte Geschichten aus der Vergangenheit heraus, in denen er auch er und alle seine Freunde eine Zahnspange trug, aber er kam nicht zum gewünschten Ergebnis.
Denn plötzlich stellte sich heraus, dass Susis Mama ihrer Tochter schon tausendprozentig versprochen hatte, dass Susi den Porsche unter den Zahnspangen erhalten sollte. Mama wollte das zur Not auch zahlen, wenn Papa nicht mitzöge. Allerdings würde das dann bedeuten, dass es für Susi und ihre Mama zwei Jahre lang keinen Urlaub geben würde. Dies trieb Susi die Tränen in die Augen.
Kommunikation der leiblichen Elternteile
Diese Geschichte zeigt einmal mehr, welche Auswirkungen es hat, wenn die leiblichen Eltern nicht miteinander sprechen, sondern die Themen über das Kind "ausdiskutieren".
Der Gedanke, Susi ihren großen Wunsch zu erfüllen, auch wenn es den eigenen Urlaub kosten würde, ist sicherlich sehr heldenhaft – geradezu altruistisch - von Susis Mutter, führt aber unweigerlich dazu, dass der Papa in einem schlechten Licht dasteht. Der Vater hat in dieser Situation nicht mehr die freie Wahl zu entscheiden, wie er sich verhält.
Er hat die Wahl zwischen „erzwungender Zustimmung“ oder „böser Papa sein “; besser gesagt: die Wahl zwischen Pest und Cholera.
Kein Mensch dieser Welt (und Männer ganz besonders ungerne!) nimmt gerne die Option, zu der er gezwungen wird. Auch wählt kein Mensch gerne die Option „böser Papa sein“.
Susis Papa könnte sich nämlich auch gegen die Invisalign-Behandlung entscheiden, allerdings aus anderen Beweggründen als die des Geldes. Er könnte beispielsweise die Behandlung mit einer festen Zahnspange als medizinisch ausreichend ansehen und seiner Tochter ermöglichen, die Erfahrung zu machen, wie es ist, „nicht perfekt“ zu sein. „Nicht perfekt“ soll hier verstanden werden im Sinne einer nicht Instagram-tauglichen Perfektion. Denn schließlich sind alle Menschen von sich aus perfekt.
Susi könnte die Erfahrung machen, dass es nicht nur auf Äußerlichkeiten im Leben ankommt. Dass sie auch mit Zahnspange Freunde haben wird, mit denen sie Spaß hat. Von Freundinnen, die sie wegen ihrer festen Zahnspange entfreunden oder dissen, sollte sich Susi vermutlich eh besser fernhalten.
Diese Erfahrung, die Susi machen könnte, würde ihren Charakter stärken und sie zu einer selbstbewussten Persönlichkeit heranwachsen lassen. Natürlich ist das nicht garantiert, aber die feste Zahnspange bietet zumindest die Möglichkeit, diese Erfahrung zu machen.
In der aktuellen Situation ist es jedoch schwierig, diese Option als attraktiv für Susi herauszuarbeiten. Denn aktuell geht es auf den ersten Blick nur darum, wer ihrer Eltern wie viel Kohle auf den Tisch des Hauses liegt. Damit verknüpft natürlich auch der Gedanke, dass der, der mehr zahlt, vielleicht auch mehr liebt?
Natürlich könnte man das ganze auch unter dem Blickwinkel betrachten, dass Susi erkennen soll, wie viel 6.000 € sind und viele Opfer dafür zu erbringen sind. Allerdings bleibt stets der fade Beigeschmack, dass Papa es „schuld“ ist, wenn Susi keine "schicke" Zahnspange bekommt.
Welche Zahnspange Susi dann jetzt letzten Endes bekommt, werden wir hoffentlich bald erfahren.
Welche Erfahrungen hast Du in dem Bereich bereits sammeln dürfen? Hast Du auch schon Momente erlebt, in denen Du oder Dein Partner sich manipuliert fühltest? Wie bist Du oder seid Ihr damit umgegangen? Und was hat in der Situation vielleicht geholfen? Hast Du vielleicht Tipps und Tricks?
Ich bin gespannt auf Deine Erlebnisse, Erkenntnisse und Anekdoten und freue mich über Deine Kommentare, Emails oder Anrufe.
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