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  • AutorenbildBonusmutter Jule

Über die Machtlosigkeit

Aktualisiert: 18. März 2022



***Triggerwarnung - Magersucht***


Mit Stiefmama Sybille habe ich diese Woche darüber gesprochen, wie man damit umgehen kann, wenn es nicht so läuft, wie man es sich vorstellt oder wünscht. Bei dem Thema ging es nicht darum, ob die Kids die Schuhe an der Haustür ausziehen oder nicht, sondern darum, dass ihre Bonustochter eine Essstörung (Magersucht) hat und wie man als Bonusmama damit klarkommt.


Natürlich ist es für niemanden „schön“, jemanden zu kennen, der eine solche Krankheit hat. Aber besonders herausfordernd ist es natürlich, wenn man als Bonusmutter mit einer solchen Situation konfrontiert wird.


Sybille fühlt sich einerseits machtlos, weil sie mitansehen muss, wie ihre Bonustochter (13) aus ihrer Sicht gefühlt „ihr Leben wegwirft“. Für Sybille ist es sehr schwer untätig daneben zu stehen und mitanzusehen, wie die Bonustochter sich selber hässlich findet, schüchtern ist und hinter ihren Möglichkeiten massiv zurückbleibt. Sybille möchte sie regelmäßig nehmen, kräftig durchschütteln und ihr zurufen „Du bist so hübsch. Und so klug. Mach was draus.“

Stattdessen findet die Bonustochter sich selber hässlich, liegt unmotiviert in ihrem Zimmer herum und das einzige Gespräch, dass man mit ihr führen kann, dreht sich um das Thema Essen. So hat sich Sybille am letzten gemeinsamen Abend tatsächlich die Ohren zu gehalten, als ihre Bonustochter ganz stolz dem Vater zum 3. Mal an diesem Tag ihr just gewogenes Gewicht mitteilte. Sybille konnte es einfach nicht mehr hören.


Auch ist Sybille müde davon, dass ständig an ihrem Essen herumgemeckert wird. Während der Vater die Bonustochter bittet, normale Portionen zu essen, mault die Bonustochter herum, dass sie „satt sei“ und „es für sie auch leichter wäre, mehr zu essen, wenn sie das Essen nicht so eklig fände.“

Unabhängig davon, dass letzteres unhöflich ist, ist hier natürlich das nächste Dilemma vorprogrammiert: in Zukunft wird nur noch das gekocht, was der Bonustochter mundet, damit die Gute hoffentlich normale Portionen zu sich nimmt.

Sybille hat damit dem noch ihr anerzogenen Wert „Es wird gegessen, was auf den Tisch kommt“ endgültig „ade“ gesagt.

Sybille hat außerdem schon wieder schlaflose Nächte, weil sie sich Gedanken um ihre Bonustochter macht.


Hier ist natürlich guter Rat teuer.

Freunde, die in keiner Patchworksituation sind, geben gute Ratschläge: „Mach doch dies und mach doch das.“ Auch das ist leichter gesagt als getan, denn Sybille ist nur die Bonusmutter. Sie ist nicht die leibliche Mutter und nicht der leibliche Vater. Also ist sie in keiner faktischen oder rechtlichen Position um irgendetwas mit ihrem Bonuskind zu machen. Allein die Eltern stehen in der Verantwortung.

Und das sollte auch Sybille klar werden, dass sie keine Verantwortung trägt.


Freunde, die in keiner Patchworksituation sind, werden jetzt vielleicht sagen: „Wie kannst Du da so ruhig sein und nichts machen? Ist Dir das Mädchen denn ganz egal?“

Hier bietet es sich an, direkt darauf hinzuweisen, dass die Eltern für ihre Kinder verantwortlich sind und nicht die Bonusmutter. Und nein, uns Bonusmütter sind die Kinder nicht egal (es sei denn, es gibt dramatische Vorgeschichten).

Das Problem ist jedoch, dass wir uns als Bonusmutter auf den Kopf stellen können und uns mit vielen Gedanken die Nächte um die Ohren schlagen können, dies jedoch keine Auswirkung auf das hat, was nachher im Patchworkzirkus passiert und was das Bonuskind dann tatsächlich tut.


Vermutlich ignoriert Sybille das Thema am besten komplett. Sowohl für sich, was eine Lösungsfindung angeht, als auch für bei ihrer Bonustochter.

Die Bonustochter, die sich im Zweifel nach Aufmerksamkeit sehnt, wird durch den vermehrten Blick der Eltern oder der Bonusmama auf das Thema Essen alle Probleme rund ums Essen noch wichtiger machen, als es eh schon ist. Denn in ihrem Kopf läuft dann der Film ab: „Wenn ich nicht, wenig oder komisch esse, dann beachten mich alle und ich bekomme Aufmerksamkeit.“ Der Weg zurück zur Normalität wird damit immer schwieriger, weil ihr Verhalten belohnt wird (wir alle erinnern uns an den Pawlow’schen Hund). Isst die Tochter wieder normal, würde dann quasi die Belohnung gestrichen. Das mag kein Gehirn, denn das ist in einer solchen Situation vergleichbar mit einem Junkie, den man seinen Stoff wegnimmt.


Aus eigener Erfahrung weiß ich auch, dass es für Menschen mit Essstörung leichter ist, zur Normalität zurückzukehren, wenn nicht ständig der Focus auf ihr Problem gelegt wird. Wenn jedes „normale“ Essen von den Eltern kommentiert und gelobt wird, fällt es oft viel schwieriger, diesen Weg zu gehen, als wenn man alles quasi unbeobachtet tut (das Kind ist natürlich beobachtet, aber es denkt, es wäre nicht beobachtet).

Wenn sich die Person mit der Essstörung entscheidet, wieder am normalen Leben teilzunehmen, braucht dies keine extra Attention. Denn dann wäre man direkt im nächsten Kreislauf nach Pawlow drinne, dass nämlich jedes „normale Verhalten“ mit Aufmerksamkeit belohnt wird.


Hier liegt übrigens auch die Lösung und zeitgleich die Krux: über die Essstörung entscheidet die Person selber, ob sie sie hat oder nicht. Denn nur, wenn sich die Person SELBER entscheidet, dass sie ihr Leben ohne die Essstörung leben will, hat eine außenstehende Person überhaupt eine Chance, sie auf ihrem Weg aus der Essstörung heraus zu unterstützen. Alles andere ist oft vertane Liebesmüh.


Auch wird es nicht helfen, wenn man der halb verhungert aussehenden Person sagt, dass sie schlank ist. Die „Wahrheit“ im Kopf der Person ist, dass sie es eben nicht ist und da kann man sich den Mund fusselig reden. Das gleiche gilt natürlich auch bei Personen, die zu viel essen.


Was kann man also tun?

Aus meiner Sicht kann man als Bonusmutter für die Bonustochter da sein, sofern sie es denn wünscht. Wenn sie sich austauschen will oder Unterstützung benötigt, kann man parat stehen. Mehr kann und sollte man aus meiner Sicht nicht tun. Denn man reibt sich nur selber auf, indem man über das Thema verzweifelt und ständig vor Augen geführt bekommt, dass man machtlos ist und nicht die Kontrolle über die Situation hat.

Und letzten Endes ist es eine Entscheidung der Bonustochter wie jede andere: nehme ich am Leben teil oder bin ich durch mein Essverhalten daran gehindert? Oder wähle ich Leistungskurs Pädagogik und Deutsch oder vielleicht doch Englisch und Chemie?

Es ist ihr Leben und sie darf es leben. Zu ihren Bedingungen und mit ihren Entscheidungen.


Falls Du an den psychosomatischen Hintergründen einer Essstörung interessiert bist, empfehle ich Dir das Buch „Krankheit als Symbol“ von Ruediger Dahlke. Hier kann man feststellen, welches psychische Thema hinter dem Symptom „Essstörung“ liegt.



Wie ist es bei Dir? Kennst Du solche oder ähnliche Themen? Welche Verhaltensweisen oder Gedankenspiele hast Du Dir aneignet, um in solchen Situationen nicht zu verzweifeln?

Hast Du vielleicht noch andere Tipps und Tricks auf Lager?



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