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AutorenbildBonusmutter Jule

Über die Erziehungsberechtigung

Aktualisiert: 18. März 2022


Marc telefoniert diese Woche mit seinem guten Freund Nik, der über sein Familienleben berichtete (ja, auch Männer haben ihn: den „Prosecco-Club“). Nik, selbst Vater von zwei Kindern, ist Partnerin von Sabine und damit auch Bonusvater von Serena (8) und Ben (18), die auch im gemeinsamen Haushalt leben. Aktuell ist Stress angesagt, weil Nik zwar bei allen Aufgaben helfen soll oder muss, aber wenn es um Erziehungsfragen geht, nicht mitreden darf. Dann trifft Sabine die Entscheidungen.

Marc stimmte Nik vollumfänglich zu, dass das ja wohl nicht sein könnte! Was für eine Ungerechtigkeit (!), dass Nik bei den Hausaufgaben oder beim Fahrradfahren lernen helfen soll, aber nicht mitreden darf bei der Erziehung!


Ich schaute Marc lange in die Augen und tat dann meine Meinung kund:

„Nun gut. Das ist ja nun mal bei jedem Bonusmutter oder Bonusvater so.“


Marc widersprach. Bei uns sei es ja ganz anders. Schließlich hätte ich mir durch all das, was ich für die Kinder machte, ein Mitspracherecht geradezu „erarbeitet“.

Ich schüttelte den Kopf. Marc war verwirrt.


„Du bist nicht erziehungsberechtigt“

Ich erinnerte mich ca. drei Jahre zurück. Wir waren auf einem Spaziergang und diskutierten ein Erziehungsthema. Als Marc irgendwann mein Einmischen zu bunt wurde, fuhr es aus ihm (in meiner Erinnerung nicht sonderlich freundlich) heraus: „Du bist nicht erziehungsberechtigt.“

Die Worte waren damals für mich wie zwei Ohrfeigen zeitgleich geklatscht, während man mir den Boden unter den Füßen wegzog. Ich war unglaublich wütend.


Wie es sich für mich für damalige Verhältnisse gehörte, wütete ich zurück: „Dann kümmere ich mich NIE WIEDER um die Kinder!“ (Übertreibung ist zuweilen mein zweiter Spitzname).

Marc konterte zu Recht, dass das ja total übertrieben wäre und Aussagen, dass man etwas „nie wieder“ tun werde, eh Schwachsinn seien.


Wir diskutierten noch eine Weile, aber ich erinnere mich, dass ich auch Wochen später noch, unglaublich wütend auf Marc war. Wie kann es sein, dass ich zwar die Kinder mitbetreuen soll/ darf/ muss, aber mir die Mitspracherechte versagt werden? Ist das nicht ein bisschen wie „Rosinen picken“?


Rechtliche Lage

Untersuchen wir Marcs Aussage einmal genauer. Einfach mal die Gefühle und Bewertungen weglassen und auf den Kerninhalt der Aussage gehen: Du bist nicht erziehungsberechtigt.


Wenn man es nüchtern betrachtet, stimmt die Aussage einfach nur. Es besteht keinerlei rechtliche Verpflichtung und auch kein Anspruch meinerseits hinsichtlich der Erziehung der Kinder. § 1631 BGB findet für mich keine Anwendung. Ich bin rechtlich gesprochen ein „Niemand“.


Wir halten also fest: Marcs Aussage war inhaltlich zutreffend.


Ich bin nicht verantwortlich

Als ich in einer ruhigen Minute einmal länger darüber nachgedacht hatte, sah ich auch einen Vorteil für mich in der Tatsache, dass ich nicht erziehungsberechtigt war: ich bin nicht verantwortlich.

Ich wiederhole den Satz noch einmal: ich bin nicht verantwortlich.


Ich bin kein Mensch, der Verantwortung von sich wegschiebt, aber diese Erkenntnis hat mich unglaublich erleichtert. Irgendwie lastete die Verantwortung (nach meinen Empfindungen) bis dahin mit auf meinen Schultern, dass ich dafür sorgen müsste, dass aus den Kindern „was G’scheites wird“. Zumindest Uschis Einfluss auf die Kinder sowie ihre Erziehungsentscheidungen machten mir da allerdings ein wenig Sorgen (dies ist übrigens die Untertreibung des Jahrtausends!).


Versteht mich nicht falsch – es geht hier nicht darum, dass mir die Kinder egal sind. Es geht darum, dass ich für sie rechtlich gesehen keine Entscheidungen treffen darf und somit auch nicht diejenige bin, die die Ergebnisse zu verantworten hat. Auch hier geht es nicht darum, die Schuld zu suchen oder ähnliches.


Was meine ich damit?


Ein aktuelles Beispiel zur Verdeutlichung: Die Handynutzung von Annika des Nachts.

Ich habe hier sehr strenge Vorstellungen, wann das Handy an Schultagen spätestens aus sein sollte. Marc ist da entspannter und Uschi interessiert es nicht. Da ich nicht erziehungsberechtigt bin, kann ich meine Meinung nicht durchsetzen bzw. es geht gar nicht erst darum, einen gemeinsamen Kompromiss zu finden – zumal ich ja auch nicht betroffen bin, da die Kinder an Schultagen nicht bei uns sind.


Ich habe meine Meinung kundgetan und damit ist das Thema für mich erledigt.


Ob es für das Wachsein am Schultag funktioniert, dass Annika an Schultagen bis Mitternacht im Internet rumhängt, werden die Noten in der Zukunft zeigen. Und dann können die, die es zu verantworten haben, neu entscheiden, falls sie mit dem Ergebnis nicht zufrieden sind.


Eine andere Möglichkeit darstellen

Ich konzentriere mich darauf, einfach ein anderes Beispiel zu sein. Denn darum geht es oft beim Bonusmuttersein: einfach andere Möglichkeiten aufzuzeigen.


Sei es, wenn es um das ganze Lebensmodell geht oder einfach nur darum, wie gestresst man ist, wenn Dinge nicht so laufen, wie man es gerne hätte. Wie man mit Enttäuschungen umgeht oder ob man sich mit Freunden, Kollegen oder Familie über deren Erreichtes freut. Ob man bis spät in die Puppen seine Zeit mit elektronischen Medien verbringt und dann morgens nicht aus dem Bett kommt und der Tag dann „eh schon scheiße ist“; oder ob man das Handy und den Fernseher um 22 Uhr ausschaltet und morgens früh nach dem Joggen topfit in den neuen Tag startet.


Es geht nur darum, den Kids andere Möglichkeit aufzeigen, wie man es auch machen könnte. Und was vielleicht funktionaler ist, wenn man gewisse Ziele erreichen will.


Die Kids können entscheiden, wie sie es machen wollen. Es geht auch hier nicht darum, was moralisch oder gesellschaftlich besser oder wertvoller ist. Sondern nur darum, zu zeigen, dass man mit einem anderem Verhalten andere Ergebnisse erzielt.


Und wenn sie weiterhin entscheiden, lieber bis spät in die Nacht zu daddeln, dann ist auch das ihre freie Entscheidung.


Die freie Wahl

Marc hat übrigens auch die freie Wahl, meinem Rat zu folgen oder es auch einfach bleiben zu lassen.


Konsequenzen werden meinerseits nicht folgen und ich werde das Thema auch nicht noch 100mal aufs Trapez bringen und so den Familienfrieden stören (wer kennt’s?).


Zumal zumindest bei dem oben geschilderten Thema auch Annika selber eine andere Wahl treffen könnte.


Aber auch ich habe die freie Wahl, denn ich kann frei entscheiden, ob ich mit Annika Differentialgleichungen lösen oder Tommis Englisch Vokabeln abfragen will.


Wenn ich es nicht möchte, dann lasse ich es bleiben. Denn – das ist ja das Gute – ich bin nicht erziehungsberechtigt und rechtlich auch nicht verpflichtet, mich um die Kinder zu kümmern. Über die moralische oder gesellschaftsrechtliche Verpflichtung kann jeder selbst entscheiden, welchen Stellenwert er dieser einräumt oder ob es aus anderen Gründen entscheidet, sich um die Kinder zu kümmern.


Die höchste Form der Integrität

Ich habe einmal gelesen, dass es die höchste Form der Integrität ist, anderen Menschen zu dienen. Daher diene ich den Kindern, indem ich bei Mathe/ Latein/ Englisch und auch sonstigen Fragestellungen („Hattest Du mit 13 schon mal Alkohol getrunken?“) behilflich bin.


Ich mache das, weil es darum im Leben geht – anderen Menschen zu dienen. Und nicht, weil ich mir erhoffe, durch mein Tätigwerden mir Mitspracherechte zu erarbeiten.


Habe ich auch „schlechte Tage“, an denen ich nicht auf so hohe Ziele ausgerichtet bin? Aber natürlich.


Aber ich weiß um die Möglichkeit, jederzeit zu wählen, es anderes zu machen. Auch nach einem „verkorkstem Familienfrühstück um 11 Uhr“ mit zwei müden Kinder kann ich immer noch wählen, das Beste aus dem Tag zu machen, die Bewertung über die Schlafgewohnheiten der Kinder bleiben zu lassen und selber, die beste Version meiner selbst zu sein, und anderen Menschen dienen.



Wie ist es bei Euch? Habt Ihr das Thema auch schon diskutiert? Oder dürft Ihr als Bonusmutter oder Bonusvater Entscheidungen für die Kids treffen? Wie steht Ihr zur Erziehungsberechtigung?

Ich freue mich auf Eure Nachrichten.

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