
Letztes Wochenende haben wir das schöne Wetter genutzt und sind mit den Kindern seit langer Zeit mal wieder zum Beachvolleyball gegangen. Wir saßen gerade in der wohlverdienten Pause im Gras als sich eine Wolke vor die Sonne schob und ich mir meine (Naketano-)Jacke schnappte, weil mir etwas kühl wurde.
Unvermittelt (und ungefragt) teilte Annika allen Anwesenden mit: „Ehrlich gesagt finde ich diese Naketano-Jacke extremst sehr scheiße.“
Ich verschluckte mich fast an dem Muffin, den ich just aß, besaß aber so viel Beherrschung, dass ich Annika nicht böse mit meinen Augen taxierte. Stattdessen schaute ich mir das schöne Grün des Grases unter meinen Füßen an.
Marc fragte nach: „Was, wieso findest Du die blöd?“ Annika erläuterte ihre Meinung näher: „Mama hat auch zwei davon. Eine in dunkelblau und eine in grau. Ich finde die einfach nur schrecklich.“
Nun denn, Geschmäcker sind ja bekanntermaßen verschieden. Trotzdem war mein erster Gedanke, als Annika ihre Meinung kundgetan hatte, auch mal kurz meine Meinung kund zu tun:
„Ganz ehrlich gesagt finde ich eigentlich alle deine braunen Sweatshirt-Hoodies in XXL ziemlich extremst scheiße.“
Natürlich habe ich das nicht gemacht – auch wenn ich gut Lust dazu gehabt hätte.
Abends im Bett griff Marc das Thema auch noch einmal auf… Allerdings fand er Annikas Aussage eher lustig, da ich mich jetzt in dem Konflikt befinden würde, etwas zu haben, was Uschi auch hätte. Ich guckte ihn irritiert an.
Er ergänzte, dass ich ja jetzt überlegen müsste, was ich mit der Jacke täte?
Ich schaute noch irritierter und hinterfragte, was genau ich denn jetzt überlegen müsste und mit der Jacke tun sollte?
Marc meinte, dass ich ja dann was hätte, was Uschi auch hätte und wir quasi den gleichen Geschmack hätten.
Ich konnte ein Grinsen nicht unterdrücken und meinte nur, dass ich ja schließlich nicht alles entsorgen könnte, was Uschi schon mal „genutzt“ hätte. Sonst wäre er vermutlich als erstes dran.
1:0 für mich - beschlossen wir gemeinsam.
Uschis Geschmack
Zum letzteren Punkt kann ich meine Gedanken ganz kurz zusammenfassen: mir ist es total wumpe, ob Uschi die gleiche Jacke hat wie ich. Vermutlich ist ja die Wahrscheinlichkeit höher, dass wir zumindest in Teilen die gleichen Klamotten im Kleiderschrank haben.
Und auch wenn wir 1:1 das gleiche Kleid im Kleiderschrank hängen hätte, würde ich es trotzdem tragen. Denn erstens würde andernfalls Uschi indirekt mich beeinflussen, was ich trage und was ich mir nicht erlauben würde zu tragen (und damit Macht über mich haben). Und zweitens (ein etwas arroganter Ansatz) sitzt es bei mir eh vermutlich 1000mal besser.
Daher war das Thema bei mir mental schnell abgehakt.
Jugendliche Meinungsäußerung
Nicht ganz so schnell abgehakt war das Thema von Annikas Meinungsäußerung. Denn Annikas Aussage war meines Erachtens ganz klar ein Akt der Provokation.
Ich hatte mir eine Jacke angezogen, weil mir kühl war. Es war keine Aufforderung an alle raus gegangen, doch bitte meine Kleidung zu bewerten.
Ihr Statement war ja auch nicht sonderlich freundlich gewesen in Form von „Entschuldigung, aber mir gefällt die Jacke nicht.“ – Eine Aussage, die man sich ja meistens eher schenkt, wenn man nicht explizit gefragt wird. Zudem ist es ja vielen Menschen auch unangenehm anderen zu sagen, dass ihnen etwas an der anderen Person nicht gefällt.
Meine Gastmutter in den USA sagte üblicherweise nachfolgenden Spruch zu ihren Kindern, wenn diese gerade wieder als gegenseitige Giftspritzen unterwegs waren:
„If you have nothing kind to say, it’s better to say nothing at all.”
Provokation wird übrigens wie folgt definiert:
Als Provokation bezeichnet man eine im Alltag sehr häufige Verhaltensweise, die mit Übertreibungen, Regelverletzungen (z. B. normenverletztendem Verhalten, Devianz) einhergeht und die den Provozierten gezielt zu Verhaltensweisen anregen soll. Provoziert werden ebenfalls Regel- und Normverletzungen, aber auch zielungerichtete Verhaltensweisen. Grund, Zweck und Zielrichtung von alltäglichen Provokationen sind allgemein weit gefasst.
Provokationen können auch dazu eingesetzt werden, sich von anderen Menschen abzugrenzen oder um Situationen eskalieren zu lassen, etwa bei Demonstrationen, Streiks usw.
Quelle: Wikipedia
Ich finde, das trifft den Nagel ziemlich auf den Kopf.
Natürlich ist Annika im Moment ein Teenager, der gerne Normen verletzt und auch ihre Grenzen testen will. Trotzdem brodelte ich innerlich. Der typische Konflikt, dass man sich von seinen Freunden so nicht behandeln lassen würde vs. das Teenager-Bonuskind testet seine Grenzen aus und meint es nicht so. Wuah!
Ich las ein wenig im Internet herum und fand u.a. eine sehr interessante Antwort im Internet: zum Provozieren gehören immer Zwei – einer der provoziert und einer, der sich provozieren lässt.
Immerhin muss man ja sagen, dass Annika nicht meine Person direkt kommentiert hatte, sondern „nur“ meine Kleidung. Also ging es nicht um mich als Person, sondern nur insoweit, als es meinen Geschmack anging. Immerhin ein Pluspunkt.
Eine verbaler Angriff gegen meine Person hätte ich sicherlich noch uncooler gefunden. Aber so klopfte ich mir schon mal auf die Schulter, dass ich mich zumindest äußerlich nicht hatte provozieren lassen. Stattdessen hatte ich ja interessiert das Gras betrachtet.
Ich las ein wenig im Internet herum und fand u.a. die vier Ursachen, warum Jugendlich provozieren:
1. Provokation als Ausdruck von Hilflosigkeit
2. Provokation als Ausdruck von Wut
3. Provokation als Ausdruck von familieninternen Spannungen
4. Provokation als Suche nach einem authentischen Gegenüber
Quelle: www.elternwissen.com
Bei den Punkten 1-3 kann ich nur vermuten, inwieweit diese genannten Punkte Ursachen bei Annika gewesen sein könnten (vermutlich kann sie die Ursache selber nicht benennen).
Beim vierten Punkt geht es darum, dass Jugendliche sich authentische Gegenüber wünschen, die auch Gefühle zeigen und sich z.B. verletzt fühlen.
Ich werde daher mein Reaktionsrepertoire beim nächsten Mal noch um ein paar Worte ergänzen – natürlich ganz ruhig vorgetragen. Die genauen Worte muss ich mir noch überlegen und wenn es nur ein „Vielen Dank für Deine Meinungsäußerung. Ich nehme sie hiermit zur Kenntnis.“ wird. Mehr fällt mir im Moment noch nicht konstruktives ein, aber ich arbeite daran.
Denn: die nächste Provokation kommt bestimmt.
Kennst Du es auch, dass Dich Deine Bonuskinder provozieren? Hast Du Strategien entwickelt, wie Du damit umgehst? Gar nichts sage oder direkte Eskalation?
Ich bin gespannt auf Eure Erlebnisse, Erkenntnisse und Anekdoten und freue mich über Eure Kommentare, Emails oder Anrufe.
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