Die Bonuskinder waren letztes Wochenende wieder da und es hat mich mehr denn je zum Reflektieren angeregt. Aber was war passiert?
Marc war Samstag vormittag mit Tommi zum Fußballspiel von Tommis Fußballverein gefahren. Annika durfte zu Hause bleiben, da sie keine Lust hatte bei einem „Baby“ (= ihr 11-Jähriger Bruder) beim Fußballspielen zuzuschauen. Ich war mit Bonusmama Astrid verabredet, die mich zu sich eingeladen hatte. Gegen 13 Uhr wollte ich mich auf den Weg zu Astrid machen und ging daher zu Annika ins Zimmer, um ihr mitzuteilen, dass ich jetzt fahren würde. Sie lag unmotiviert – noch im Schlafanzug – in ihrem Zimmer und daddelte am Handy. Ich teilte ihr mit, dass ich jetzt fahren würde und sie jederzeit anrufen könnte, wenn etwas sei. Und falls wir nicht erreichbar wären und irgendetwas dringendes sei, sie auch jederzeit zu unserer Nachbarin gehen könnte. Sie nickte und ich ging.
Als ich im Flur stand, hatte ich einen kurzen Moment die Vision in meinem Kopf, was wohl eine Bonusmama tun würde, die perfekt wäre. Ich drehte um und ging noch einmal in ihr Zimmer. Ich bot ihr an, dass sie auch mitkommen könnte. Sie fragte halbwegs interessiert, wohin ich denn fahren würde? Ich antwortete ihr, dass ich zu Astrid und ihren 18-jährigen Zwillingsjungs (= interessantes „Material“ für unser fast 15-jähriges Teeniemädchen), die sie auch kennt, fahren würde. Vermutlich überlegte sie, dass sie sich dazu ja noch aufbrezzeln müsste und entschied sich – in Anbetracht des bequem sitzenden Schlafanzugs - dagegen. Vielleicht hatte sie auch einfach keine Lust.
Ich versuchte noch eine letzte Manipulation: „Eventuell fahren wir auch zu IKEA.“
Aber auch das Argument zog nicht.
Ich fuhr also alleine zu Astrid. Auf dem Weg dorthin war ich ein bisschen „stolz“ auf mich, hatte ich doch den Schritt gewagt, sie zu fragen, ob sie mitkommen wollte (#gutestiefmutter). Obwohl es sicherlich nicht Astrids und meine erste Wahl gewesen wäre, den Nachmittag mit einem 14-jährigen Teenie bei IKEA zu verbringen, hatte ich ihr Wohl vor meins gestellt, auch wenn sie sich dagegen entschieden hatte. Ich weiß, dass es auch wichtig ist, dass man als Stiefmutter ohne Kind und Kegel an Besuchswochenenden etwas unternimmt, aber irgendwie tat mir Annika in gewisser Weise leid, dass sie diesen schönen Samstag alleine auf ihrem Bett liegend mit ihrem Handy verbrachte. Ein wenig schwingt natürlich auch meine Einstellung mit, dass ich denke, dass die Kiddos mit ihrem ganzen Gedaddele ihr Leben wegschmeißen, aber das Thema lassen wir an dieser Stelle lieber.
Gegen halb 6 abends kam ich wieder heim. Marc erwartete mich schon und half mir ein paar Einkäufe in die Küche zu tragen. Annika hing auf der Küchenbank ab und antwortete auf mein fröhliches „Hallo!“ kurz und knapp. Keine 30 Sekunden später verzog sie sich in ihr Zimmer.
Vielleicht kennst Du das, dass manchmal Dinge passieren und man hat dabei ein komisches Gefühl?
Dies war ein solcher Moment. Ich konnte nicht genau sagen, was los war, aber irgendwie dachte ich mir, dass etwas anders war. Vielleicht war Annika doch sauer, dass ich ohne sie zu Ikea gefahren war und sie den ganzen Tag alleine zu Hause rumlag? Ich schob die Gedanken beiseite.
Schließlich ging es dann auch zum Chinesen Abendessen – wieder nicht meine erste Wahl, aber wenn die Kinder sich das wünschen, dann macht man es mit. Und es gibt ja auch schlimmere Opfer, die eine Stiefmama erbringen muss.
Jedenfalls kam es zu einer Situation, wo Marc und Tommi am Buffet waren und Annika und ich alleine am Tisch saßen. Ich fragte sie, ob sie dieses Wochenende noch Hausaufgaben zu erledigen hätte?
Ihre Antwort „Nein.“
Ich bohrte weiter: „Stehen denn Tests oder Klassenarbeiten die Woche an?“
Sie: „Nein.“
Gespräch beendet. Auch mir war jetzt klar, dass ich wieder mit „schweigender, mich ignorierender Annika“ bestraft wurde.
Am Sonntag morgen ging es so weiter… sie huschte beim Frühstück genau dann ins Wohnzimmer, als ich gerade etwas im Keller holte, um mir nicht „guten Morgen“ sagen zu müssen. Jegliche Diskussion wurde nun wieder über Marc geführt und ich ignoriert.
Das Ganze ging sogar so weit, dass Marc und ich uns fast in die Haare bekamen, weil ich etwas nicht tat, obwohl er Annika gesagt hatte, dass sie mir sagen soll, dass ich es machen soll. Diese Info kam allerdings bei mir nie an.
Der restliche Tag war irgendwie für mich emotional gelaufen, denn dieses Gefühl, dass sich in mir breit machte, war nicht schön.
Beim Spaziergehen klebte Annika wieder an Marc und ging den ganzen Weg eingehakt unter Marcs Armen (hier geht's übrigens zum Artikel zur Mini-Wife). Ich ließ sie gewähren und fragte mich, ob sie vielleicht auf mich eifersüchtig war?
Um 17 Uhr, als es für die Kinder Zeit war, abzureisen, stand Annika bereits im Türrahmen der Wohnungstür, als Marc sie fragte, ob sie sich schon von mir verabschiedet hätte? Sie meinte, dass sie das ja gerade hätte tun wollen, drehte auf dem Absatz um, kam zu mir und umarmte mich ohne mich anzuschauen.
Auch am nächsten Tag ließ mich das Ganze nicht los. Sicherlich wird in den sozialen Netzwerken eh schon wieder ein Shitstorm loswüten á la „Wenn diese Stiefi davon schon beleidigt ist, dann ist sie selber schuld.“ (Ja, manchmal muss man auch die Meinungen anderer über das, was für einen selber „schlimm“ ist oder auch nicht, aushalten könnten oder einfach ignorieren).
Natürlich ist es richtig, dass jeder eine solche Situation anders bewertet. Manche Stiefmutter wird vielleicht sogar dankbar sein, wenn sie von ihrem Teenagermädchen nicht mehr vollgetextet wird. Dann ist es für mich auch nachvollziehbar, warum meine Gefühle möglicherweise als „affig“, „albern“ oder „lächerlich“ abgetan werden.
Aber hier vielleicht schon mal ein Hinweis für Dich und mich: es ist egal, was andere über Dich denken. Wichtig ist nur, wie es Dir damit geht.
Ich überlegte für mich, warum genau diese Situation sich für mich so schlimm anfühlte. Wieso fühlte ich mich schlecht/ minderwertig/ unwichtig, wenn Annika sich so verhielt? Ein wenig konnte ich mich selber auch nicht verstehen...! Wenn jemand im Berufsleben oder im Freundeskreis so mit mir umging, bescherte es mir schließlich auch keine schlaflosen Nächte...
Hier muss man allerdings direkt einhaken, denn Freundeskreis und Berufsleben sind ungleich Patchworksituation! Wenn meine Freunde mich ignorieren und übersehen, dann würde ich entweder die Entscheidung treffen, mal nachzuhaken, woran es liegt - auch auf die Gefahr hin, einen Streit oder eine Diskussion zu starten - oder ich würde die Entscheidung treffen, dass die Freunde, wenn sie mich so behandeln, ab morgen nicht mehr in meinen Freundeskreis gehören. Das geht allerdings in der Patchworksituation nicht, denn das Teeniemädchen wird ja in zwei Wochen wieder anreisen und wir werden da weitermachen, wo wir aufgehört haben. Und auf einen Streit oder eine emotionale Diskussion mit dem Teeniemädchen war ich auch nur bedingt scharf drauf.
Seit neustem bin ich übrigens großer Fan des Podcasts „Stahl aber herzlich“ von Stefanie Stahl.
Der ein oder andere mag sie von ihren Büchern (z.B. Das Kind in Dir muss Heimat finden) kennen. In ihrem Podcast macht Stefanie regelmäßig ein Coaching und als ich Montag morgens zur Arbeit fuhr, ging es bei der betroffenen Person u.a. darum, dass eines ihrer Grundbedürfnisse nicht bedient wurde: Das Grundbedürfnis die Kontrolle zu haben.
Ich fühlte mich sofort „ertappt“, denn genau diese Tatsache ist es, die meine Situation so schwierig machte: das ich (gefühlt) nämlich nicht die Kontrolle hatte. Annika überlegte nach ihren Vorstellungen, ob sie mit mir reden wollte oder nicht – denn einen Streit oder irgendein Fehlverhalten hatte es meinerseits nicht gegeben (zumindest war ich mir dessen nicht bewusst). Daher fühlte ich mich ein wenig ohnmächtig – wobei das vielleicht schon zu viel gesagt wäre – hinsichtlich ihres – für mich nicht nachvollziehbaren Verhaltens. Ich war besonders nett zu ihr gewesen und wurde mit Missachtung gestraft.
Okay, also Kontrolle fehlte mir. Das machte Sinn.
Aber so ganz erschloss sich mir nicht, warum ich mich durch ihre Behandlung wie ein kleines Kind fühlte?
Bekanntlich sieht man ja vor Bäumen den Wald nicht – so war es auch bei mir. Denn ich fühlte mich wie ein kleines (hilfloses) Kind, weil ich Annikas Verhalten von meiner eigenen Mama kannte. Meine Mama war keine große Meisterin der Diskussion. Extremes Fehlverhalten von mir wurde durch Schweigen und Ignorieren meiner Person durch meine Mutter gelöst.
Ja, es fiel mir wie Schuppen von den Augen: Annikas Verhalten und meine Reaktion dadrauf hatte nichts mit ihr zu tun, sondern exklusiv nur mit mir.
Hier vielleicht auch noch mal ein wichtiger Merksatz als Erinnerung:
Gefühle macht man sich immer selbst.
Auch wenn Dein Kopf gerade in den Widerstand geht, weil Du denkst, dass es Situationen gibt, in denen der andere sehr wohl Deine Gefühle „macht“, muss ich Dir leider sagen, dass immer nur Du es bist bzw. ich es bin, die sich die Gefühle macht.
Natürlich kann der andere Auslöser sein, für das, was bei Dir sich abspielt, aber der andere macht Dir nicht das Gefühl.
Beispiel: Der Partner geht fremd.
Natürlich ist man geneigt zu denken, dass der Partner für die Gefühle wie Traurigkeit, Enttäuschung, Wut usw. verantwortlich ist. Aber wie das Gefühl bei jedem einzelnen aussieht, ist individuell unterschiedlich. Manch einer oder eine mag sogar vielleicht Befreiung oder Erleichterung empfinden.
Du machst Dir das Gefühl, was bei Dir abgeht.
Es wäre ja auch super, wenn es Menschen geben könnte, die bei anderen Gefühle erzeugen könnten. Die wären sicherlich super reich, denn ich würde sofort dafür bezahlen, wenn jemand mir gute Gefühle (am besten immer) machen könnte!!
Also: Gefühle macht man sich immer selbst. So machte ich mir auch das Gefühl selber, dass ich mich hilflos/ schutzlos/ machtlos fühlte und mich irgendwie als wertlos ansah, wenn Annika mich ignorierte. Als ich aber erkannte, dass das Gefühl, was ich verspürte, überhaupt nichts mit dem (ich sag es jetzt mal so salopp) 14-jährigen Gör zu tun hatte, bei dem das Gehirn aktuell wegen Umbaus geschlossen ist, löste sich all mein Ärger und meine Wut.
Ich entkoppelte das Gefühl meiner Kindheit von den Geschehnissen der letzten Tage und konnte alles in einem ganz anderen Licht sehen.
Plötzlich war es mir total egal, was Teeniemädchen Annika da abgezogen hatte und ich erkannte auch, dass ihr Verhalten einfach nur mit ihr zu tun hatte.
Und ich auf ihr Verhalten nur meinen alten „Film“ aus der Kindheit mit den dazugehörigen Gefühlen abgespielt hatte.
Montag abends erzählte ich Marc von meinen Gedanken und auch von der Auflösung, die ich für mich gefunden hatte. Ich war ein wenig motiviert gewesen, ihm davon zu erzählen, weil er samstags abends beim Chinesen einen Glückskeks gezogen hatte:
„Versuchen Sie, Ihren Partner zu verstehen.“
Marc konnte meine Gedanken nachvollziehen, auch wenn er meine Vermutung, dass Annika möglicherweise auf mich eifersüchtig war, nicht teilen konnte.
Nichtsdesdotrotz werde ich aber die ersten drei Tage der NRW-Herbstferien, wenn die Kinder da sein werden, vorsorglich arbeiten gehen, damit Annika genügend Zeit mir ihrem Papa hat und ich erst wieder Vollzeit auf dem Trapez erscheine, wenn sie – und das dauert als Teen meist gar nicht so lange – ihren Papa schon wieder doof findet...
Wie ist es bei Dir? Kennst Du solche oder ähnliche Gefühle auch? Wie fühlst Du Dich, wenn andere Deine Gefühle als unwichtig und unbedeutend ansehen? Hast Du auch schon einmal festgestellt, dass die Art, wie Du auf gewisse Situationen reagierst für Deine Gefühlswelt in den folgenden Zeit entscheidend ist?
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