Diese Woche habe ich eine neue Bonusmama kennengelernt. Wir haben uns super unterhalten und -wie fast immer unter Bonusmüttern- viele Gemeinsamkeiten festgestellt.
Eine Sache ist mir besonders in Erinnerung geblieben, die die Bonusmama bei ihrer Bonustochter herausfordernd findet und die ich – ironischerweise nach längerem Nachdenken – auch in unserem Leben wiedergefunden habe.
Handeln aus Höflichkeit
Die Bonusmama erzählt mir, dass sie denkt, dass die Bonustochter oft aus Höflichkeit nicht die Wahrheit sagt. Ein Beispiel: Die Bonusmama hat gekocht und beim Essen fragt sie die Bonustochter, ob es ihr schmeckt. Die Bonustochter antwortet dann mit zusammengekniffenem Mund, dass es ihr gut schmecke. An ihrem sonstigen Verhalten kann man aber ablesen, dass es ihr definitiv nicht schmeckt und ihre Aussage nicht der Wahrheit entsprach.
Die Converse-Sneaker
Ich erinnerte mich bei dieser Erzählung an den Sommer 2019, in dem ich Annika eine Freude machen wollte und ihr schwarze Converse-Sneaker bestellt hatte, in der Hoffnung sie zu erfreuen. Hierzu sei erwähnt, dass ich insbesondere zu Beginn der Bonusmutter-Bonustochter-Beziehung beim Einkaufen immer förmlich explodiert war. Ich sah weiße Einhorn-Hausschuhe und kaufte sie – zu Hause flippte Annika vor Freude aus und fiel einem um den Hals. Ein pinkfarbener Schlafanzug mit Glitzer – Annika und ich liebten ihn! Egal, was ich beim Einkaufen fand und eigentlich auch egal, wie teuer die Sache war, ich kaufte es, wenn ich dachte, ihr damit eine Freude machen zu können. Mein (mangels eigener Tochter) nicht genutztes Prinzessinnen-Gen wurde vollständig befriedigt.
Im Sommer 2019 war es dann so, dass ich -wie bisher- die Schuhe bestellte und mir sicher war, dass sie Annikas Geschmack treffen sollten. Die erwartete Begeisterung blieb aus, jedoch entschied sie sich, die Schuhe zu behalten. Ich hatte ein „komisches Gefühl“, aber stimmte dem natürlich zu. Die Schuhe waren dazu bestimmt, als Zweitpaar bei uns zu stehen, falls Annika mal nicht die richtigen Schuhe eingepackt hatte (wie bereits erwähnt, haben wir immer einen zweiten Satz Klamotten der Kinder bei uns).
Drei Wochen später war Annika dann wieder da und da sie nur in Sandalen angereist war und es aber kälter war, sollte sie die neuen Sneaker anziehen. Was dann folgte, katapultierte mich schlagartig aus jeder Prinzessinnen- Illusion heraus, die bis dahin möglicherweise noch existiert hatte. Die Schuhe seien scheiße, da uncool und außerdem täten sie beim Tragen weh. Pädagogisch unwertvoll sollte sie (mangels anderer Alternativen) die Schuhe trotzdem anziehen.
Das Wundenlecken
Als Annika nach dem Wochenende abreiste, begann ich „meine Wunden zu lecken.“ Ich war traurig und enttäuscht. Enttäuscht von mir, dass ich das „komische Gefühl“, dass ich hatte, als sie die Schuhe dann doch behalten wollte, nicht ernst genommen hatte. Andererseits wäre es mir damals auch nicht in den Gedanken gekommen, ihr aufgrund eines „Gefühls“ meinerseits zu verbieten, die Schuhe behalten zu dürfen.
Ich war aber auch enttäuscht, dass sie nicht einfach gesagt hatte, dass ihr die Schuhe nicht gefielen. Unser Vertrauensverhältnis bekam zumindest meinerseits einen ersten Knacks.
Die nächste Shopping-Tour
Wenige Wochen später waren wir dann urlaubsbedingt in München unterwegs und wie es sich für Mädchen gehörte, lag das Hauptinteresse an dieser fremden Stadt darin, die Shopping-Möglichkeiten auszutesten. Ich überzeugte Marc, dass Annika auf jeden Fall noch 1-2 neue Jeans und T-Shirts brauchte, da sie in den letzten Wochen/ Monaten ordentlich gewachsen war. Also gingen wir shoppen. Needless to say, dass auch diese Klamotten in der Folge nicht von ihr getragen wurden.
Für mich stand die Entscheidung fest, dass ich mein spontanes Beschenken bleiben ließ. Denn Ergebnis war für mich letzten Endes nur, dass ich Geld ausgab, um dann nachher enttäuscht zu werden, wenn das Gekaufte gar nicht gewertschätzt wurde. Ja, ich bin so erwachsen, zu erkennen, dass natürlich nicht alles, was ich schenke, dem anderen Menschen gefallen muss, aber ich hatte mir stets Mühe gegeben, Sachen zu finden, die ihr gefielen und zu dem passten, was sie bereits besaß. In Summe war das Schenken so zu einem doppelten Minus geworden (ein Minus in der Tasche und ein Minus in der Gefühlsecke).
Auch rannte ich nicht mehr los, wenn Annika einen Wunsch äußerte, denn ich hatte mit der Zeit erkannt, dass ein Wunsch, der heute aktuell ist, in zwei Wochen bereits vergessen war und es daher auch egal war, ob ich zwischenzeitlich versucht hatte, den Wunsch zu befriedigen. Marc strahlte da bereits seit einiger Zeit eine enorme Ruhe aus und begann nicht direkt mit einer Google-Suche, wenn die Tochter einen Wunsch äußerte. Ich schloss mich dem nun vollumfänglich an.
Der Marmorkuchen
Das Thema blieb aber weiterhin akut. Auch wenn ich nun das Einkaufen von Geschenken und Besorgen von Kleidung eingestellt hatte, gab es ja noch das tägliche Leben. Als gutes Beispiel fällt mir hier ein Tag ein, als wir spontan Besuch bekamen. Ich war nicht drauf vorbereitet gewesen, so dass ich aus den zu Hause vorhandenen Zutaten einen Marmorkuchen gebacken habe. Der Besuch kam und wir aßen gemeinsam den lecker warmen, frisch aus dem Ofen kommenden Marmorkuchen. Annika überschlug sich mit Lob und aß drei Stück Kuchen, denn das sei der „geilste Kuchen ever“ gewesen, den sie jemals gegessen hätte.
Mein Herz hüpfte und ich freute mich, endlich mal wieder, etwas gefunden zu haben, was ihr schmeckte. Vier Wochen später machte ich erneut den Kuchen – siegessicher, da ich ja wusste, dass sie ihn beim letzten Mal geliebt hatte. Ich weiß nicht, wie genau sich die Sternenkonstellation seitdem verändert hatte oder welche sonstigen irdisch nicht nachvollziehbaren Veränderungen eingetreten waren, aber Annika mochte nun Marmorkuchen generell nicht mehr und verweigerte die Nahrungsaufnahme. Ich war enttäuscht und ging wieder Wunden lecken.
„Wählerisch sein“
Im Urlaub sprachen Annika und ich dann darüber, weil sie mir erzählte, dass ein Junge gesagt hätte, „dass sie ihm zu wählerisch sei.“ Ich versuchte ihr den Unterschied zwischen „wählerisch sein“ und „jeden Tag seine Meinung zu ändern“ zu erklären.
Es ist absolut in Ordnung bzw. gut, wenn man wählerisch ist. Es ist eigentlich sogar toll und zeugt von großer Reife, wenn man sich Gedanken macht, über das, was man in seinem Leben haben möchte und was nicht.
Wählerisch kann aber auch anstrengend werden, wenn man zu hoch gesetzte Wünsche hat und nie zufrieden zu stellen ist, weil alles nicht gut genug ist. Wie sagt Marc zu solchen Menschen immer: "Wenn sie ein Einhorn haben könnten, möchten sie ein Zweihorn haben, usw.."
Davon abzugrenzen sei es aber, dass man mal vorgibt, etwas zu mögen und drei Tage später das Gleiche dann nicht mehr mag. Natürlich ist es auch zulässig, dass man seine Meinung ändert (auch das an sich ist sehr willkommen). Aber in dem Moment, wo das Gegenüber nicht mehr weiß, ob es die ehrliche Meinung des anderen hört, oder ob nur gerade irgendwas gesagt wird, was man gar nicht wirklich meint, dann wird es zwischenmenschlich schwierig.
Ich nannte ihr das Beispiel mit dem Marmorkuchen und sie schaute ein wenig verdutzt. Ich erklärte ihr, dass es für mich schwierig sei zu erkennen, was denn jetzt IHRE wirkliche Meinung zu Marmorkuchen ist? Liebt sie ihn oder isst sie ihn generell nicht? Zu welchem Zeitpunkt hatte ich ihre ehrliche Meinung gehört?
Für mich sei es schwer zu unterscheiden, in welchen Momenten sie „fake“ ist und wann ehrlich. Und dass es für mich bei einem solchen Verhalten nahezu unmöglich sei, herauszufinden, wie ich ihr eine Freude machen könnte? Latent sei es für mich immer ein Risiko, ihr eine Freude machen zu wollen, weil über allem das Damoklesschwert hängt, dass ihr in Wirklichkeit die Sache noch nie gefallen hatte.
Grundsätzlich ist das natürlich ein Risiko, das ich aufzunehmen bereit bin, aber wenn man zu oft enttäuscht werde, dann führe das möglicherweise zu der Gegenreaktion, dass man das mit dem Geschenke schenken und eine Freude machen, einfach bleiben ließe.
Reaktion und Gegenreaktion
Es ging mir nicht darum, ihr zu drohen oder sie damit einzuschüchtern.
Mir ging es darum, dass sie einen Einblick bekommt, dass jedes Verhalten von ihr, von mir (und natürlich anderen Menschen auch) wahrgenommen würde und die meisten Gegenreaktionen, die sie im Leben bekommt, von ihr hervorgerufen oder verursacht wären. Das alles – was ihr passiert – auch immer mit ihr zu tun hat. Das verstand sie auch.
Was ich hier noch einmal ausdrücklich sagen möchte, ist, dass es mir nicht darum geht, dass die Bonustochter das mögen muss, was ich will. Auch weiß ich, dass die Pubertät Annika gut auf den Kopf stellt. Ich bin mir auch der Möglichkeit bewusst, dass Annika vielleicht bei Uschi zu Hause erzählt hat, dass „Jule den weltbesten Marmorkuchen gemacht hat“ und es seitdem nicht mehr „en vogue“ ist, den gut zu finden. Das ist mir alles bewusst.
Mir ging es darum, dass sie versteht, welche Auswirkungen ihr Verhalten auf ihre Umwelt - und im konkreten Fall auf mich - hat. Dass es nicht heißt, dass ich sie nicht mehr liebe, wenn ich ihr nichts mehr kaufe, sondern dass es für mich im Zweifel die einfachste Variante ist, selber nicht enttäuscht zu werden, solange sie nicht klar kommuniziert, was sie möchte.
Vielleicht wird hier auch einmal mehr der Unterschied zwischen leiblicher Mutter und Bonusmutter deutlich, denn ich kenne Annika nun mal nicht von der Pike auf. Ich habe sie weder in mir getragen noch sie großgezogen. Noch weiss ich, ob sie ein sensibles, trauriges, anstrengendes, fröhliches oder emotionales Kind war, als sie aufgewachsen ist. Sie ist mit 10 Jahren in mein Leben gekommen und ich darf insoweit darin sein und daran teilnehmen, soweit sie es mir gestattet.
Sie ist wie ein Puzzle, dass ich versuche, zusammen zu setzen. Die Puzzleteile reime ich mir aus dem zusammen, was ich beobachte. Und da sind für mich – als Bonusmutter – alle Handlungen ihrerseits maßgeblich.
Wie gehe ich nun in Zukunft mit dem Thema um?
Erst einmal habe ich mir vorgenommen, definitiv nicht mehr alles Gesagte auf die Goldwaage zu legen.
Auch habe ich das Überhäufen mit Geschenken etc. erstmal eingestellt. Und im Zweifel wird nun gegessen, was auf den Tisch kommt.
Wenn ich durch Zufall ihren Geschmack treffe, dann ist es so und ich freue mich. Wenn ich es nicht tue, dann ist das auch so und ich mache mir keine schlechten Gefühle mehr darüber, dass es der Bonustochter nicht gepasst hat. Schließlich wäre das bei den eigenen Kindern ja auch nicht anders.
Vielleicht sollte ich es auch als gutes Zeichen sehen, dass die rosa-rote Prinzessinnen-Illusion nicht mehr da ist, sondern stattdessen die Realität Einzug gehalten hat.
Vielmehr sollte ich es als Möglichkeit für Annika und mich sehen, dass wir uns selber aneinander erkennen können, wenn unsere Verhaltensweisen durch den anderen gespiegelt werden. Dies gibt uns jeweils die Möglichkeit, anders zu entscheiden und zu handeln, wenn wir in Zukunft andere Ergebnisse erreichen wollen.
Wie ist es bei Euch? Habt Ihr ähnliche Themen mit Euren Bonuskindern? Wie geht Ihr damit um, wenn Eure Bemühungen vom Bonuskind nicht gewertschätzt werden (aus Eurer Sicht)? Oder ist Euch das vielleicht auch gar nicht wichtig?
Oder seid Ihr vielleicht selbst eine Bonustochter oder ein Bonussohn und Euch ist das Verhalten der Bonusmutter, die sich immer mit ihren Geschenken hat einschleimen wollen, damals einfach nur auf den Keks gegangen?
Ich bin gespannt auf Eure Erlebnisse und Erkenntnisse und freue mich über Eure Kommentare, Emails oder Anrufe.
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