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  • AutorenbildBonusmutter Jule

Über den Rückzugsort

Aktualisiert: 18. März 2022



Vor einiger Zeit habe ich einen Instagram-Post zum Thema „Rückzugsort“ gelesen. Oft lese ich Dinge und denke: „Ach, bei mir kein Thema. Ausnahmsweise mal. Wie schön.“

Wie schnell das Thema jedoch „zu meinem Thema“ werden sollte, ahnte ich da noch nicht.


Das Thema „Rückzugsort“ kannte ich schon von Bonusmama Astrid, die sich sehnlichst ein eigenes Zimmer wünschte, um ihrer kreativen Ader nachzugehen und nicht immer ihre Kunstwerke im Wohnzimmer produzieren zu müssen, die dann schnellstens „beiseite geschafft werden müssen“, wenn das Mittag- oder Abendessen ansteht. Der Wunsch nach einem eigenen Zimmer ist jedoch in ihrem Fall nicht ganz so leicht umzusetzen, auch wenn sie schon mit ihrem Mann in einer Innenstadt-Wohnung in einer großen deutschen Stadt lebt, die immerhin Raum für drei Kinderzimmer sowie ein Büro hatte (neben Schlaf- und Wohnzimmer).


Nicht überall ist so viel Raum – auch bei uns ist es so, dass in unserer Vier-Zimmer-Wohnung nur ein Zimmer exklusiv für das Teenie-Mädchen gedacht ist, während das Zimmer von Tommi in seiner Abwesenheit als mein Büro fungiert. In der Vergangenheit war dies meist kein Problem, da ich ja in der Regel von Montag bis Freitag arbeite, wo Tommi nicht da ist.


Corona

Als die Kids jedoch sieben Wochen bei uns gelebt haben und jedes Kind für das Homeschooling und den -wir lieben ihn alle – Distanzunterricht einen eigenen Raum benötigte, kamen wir schon an unsere Grenzen: Marc arbeitete im Wohnzimmer, ich im Schlafzimmer auf einem eigens für diesen Zweck bei Ebay-Kleinanzeigen erworbenen Mini-Schreibtisch (und wenn ich mini sage, meine ich mini!). Dies sind dann auch die Momente, wo man im Videocall die Kamera einfach mal auslässt – wer kennt’s nicht?


Dass ich in Coronazeiten keine Seltenheit war, zeigte mir der Austausch mit anderen Bonusmamas: Auch Bonusmama Ramona arbeitete an einem Ebay-Kleinanzeigen-Mini-Schreibtisch, obwohl das Zimmer ihrer Bonustochter, die auch nur jedes zweite Wochenende zu Besuch ist, derweil leer stand und ein großer Schreibtisch nur darauf wartete, benutzt zu werden. Das sah der leibliche Vater aber anders, so dass Ramona weiterhin am kleinen Tisch vor sich hinwerkelte.


Geschlossene Zimmertüren

Jedenfalls ist es bei uns seit neustem so, dass die Kids stets ihre Zimmertüre schließen, da „Privatsphäre“ mit dem Eintritt in die Pubertät anscheinend enorm an Bedeutung gewonnen hat. So laufe ich zuweilen in der eigenen Wohnung vor zwei verschlossene Türen, die auch nur geöffnet werden dürfen, wenn zuvor angeklopft wurde. Dies hatte Annika für ihren Raum etabliert, da ihr zugegebenermaßen hin und wieder etwas frecher kleiner Bruder gerne „Überraschungsbesuche“ bei ihr vornahm. Nachdem wir eine Weile bei Annika angeklopft hatten, hatte Tommi natürlich für sein Zimmer den gleichen Anspruch erwirkt.


Nun denn.

In den Osterferien begab es sich dann dergestalt, dass Marc einen wichtigen beruflichen Termin hatte und sich daher, um den Flow der Family nicht zu stören, in unser Schlafzimmer für den Call zurückzog. Annika lag ausnahmsweise auf der Wohnzimmercouch, nachdem ein Handwerker in ihrem Zimmer eine Kleinigkeit erledigt hatte. Ich wollte Annika danach nicht in ihr Zimmer zurückschicken, da ich das irgendwie unhöflich fand. Außerdem bettet man einen Teenie nicht so einfach um.


Ich wollte eigentlich meine Freundin anrufen, was ich jedoch etwas unpraktisch fand, da Annika schließlich im gleichen Wohnzimmer, wo ich mich aufhielt, auf der Couch vor sich hin fermentierte.

Natürlich habe ich kein Problem damit, vor ihr zu telefonieren, fühlte mich aber trotzdem bei dem Gefühl nicht wirklich wohl. Also setzte ich mich auf einen Hocker in der Küche. Hierzu muss man allerdings wissen, dass wir eine offene Küche haben, das heißt es gibt keine Tür zum Flur hin. Auch nicht sonderlich dolle für einen privaten Anruf…


In Annikas Zimmer wollte ich nicht gehen, da ich mir erst einen Weg durch Klamottenberge zum Bett hätte bahnen müssen und befürchtete, dass mein Jungfrauen-Gen durchschlagen würde und ich „aus Versehen“ bzw. aus meiner zwanghaften Störung der Ordnungsliebe heraus, ihr Zimmer aufräumen würde. Dieses Risiko wollte ich auf jeden Fall vermeiden.

Auch törnte mich der dem Zimmer inhärente Teenie-Geruch ein wenig ab.


Also verzichtete ich auf meinen Anruf und teilte meiner Freundin in gefühlten 328 WhatsApp-Nachrichten mit, was ich ihr hätte erzählen wollen.


Playstationspielen

Zwei Tage später, als Marc gerade kochte und ich ihm Wohnzimmer saß und Papierkram erledigte, entschied Tommi, dass er nun Playstation auf dem Wohnzimmerfernseher spielen wollte, da der Monitor in seinem Zimmer über keine Lautsprecher verfügte.

Marc fragte mich, ob es ok sei, dass Tommi Playstation spiele – schließlich habe er brav Hausaufgaben gemacht und noch gar nicht gezockt an dem Tag. Für mich war es ok, nicht ahnend, was es genau bedeutete, wenn Tommi ohne Kopfhörer zockte.


So kam es, dass ich bereits 10 Minuten später maximal genervt war, weil mir sowohl das Geballer als auch die (für einen Erwachsenen) etwas sinnbefreit wirkende Strategiebesprechung von Tommi und seinem Kumpel extremst auf den Keks ging.

Wieder die Frage: Wo gehe ich ihn, um meinen Papierkram zu machen? Sollte ich den Kram in Tommis Zimmer schleppen und dort weiterarbeiten?


Maybe… I don’t know.


Meistens ist man (oder ich) ja eh schon genervt, wenn man Papierkram machen muss. Die Tatsache, dass ich aufgrund des Playstationgeballers noch genervter war, war nicht förderlich für die Erledigung des Papierkrams. Da das Thema für mich durch war, dackelte ich in Tommis Zimmer – die Tür stand immerhin auf – und schmiss mich missmutig auf die Couch.


1000 Gedanken gingen durch meinen Kopf: Bin ich zu streng? Sehe ich das Ganze zu eng? Was ist schon dabei, in einen anderen Raum zu gehen? Ob es wohl bei „normalen“ Familien auch so Probleme gibt? Schließlich haben ja nicht alle eine Villa oder einen Palast, wo jedes Familienmitglied sein eigenes Zimmer hat? Was genau stört mich? Eigentlich mag ich es doch, Zeit mit den Kindern zu verbringen? Und warum stehe ich mir grad selber so im Weg, nur weil es nicht so läuft wie ich es geplant habe?


Fragen über Fragen… und ich weiß nicht, ob Du solche Fragen Dir auch schon mal gestellt hast? Ich versuchte meine Fragen chronologisch abzuarbeiten:


1. Dass Dinge oft nicht so laufen, wie ich sie geplant habe, habe ich insbesondere als Bonusmama vertieft lernen dürfen. Meistens bin ich da auch echt entspannt geworden, wenn Uschi erst einen Tag vorher meldet, wann sie die Kinder zu uns schickt.


2. Warum nervte es mich so, ins Schlafzimmer ausweichen zu müssen? Hier habe ich gleich mehrere Antworten parat: erstens ist es dort kühl, weil wir nachts bei offenem Fenster schlafen und tagsüber nicht heizen. Zweitens ist der Raum nicht gerade wie eine chillige Lounge oder Arbeitsoase eingerichtet, sondern eher funktional: Bett, Kommode, Schrank. Für freiwilliges Arbeiten am (Mini-) Schreibtisch oder einfach nur gemütlich sitzen, um ein Buch zu lesen, ist der Raum nicht wirklich gedacht – es sei denn, man findet es urig in nordkoreanischen Gefängniszellen, dann wäre der Raum super. Drittens: wenn ich mich in den Raum begebe, dann steht meist nach 10 Minuten Marc an der Tür und fragt, warum ich mich zurückziehe? Hierzu muss man wissen, dass er ein kleines Trauma von Uschi mitbekommen hat, die gerne auch mal einfach abgehauen ist, „wenn ihr alles zu viel wurde.“


3. Damit sind wir vielleicht auch schon beim kritischsten und wichtigsten Punkt: ich wollte mir nicht eingestehen, dass auch ich meine Zeit für mich brauchte. Was habe ich früher über Frauen die Augen gerollt, die leidvoll mitteilten, dass „sie auch mal ihre Zeit für sich brauchten.“ Auch Uschi kann das gut theatralisch darstellen und wird von Marc dafür auch ordentlich abgelehnt. Ich befürchtete also Gefahr zu laufen, genauso wie Uschi zu werden!?!? Hilfe!!!

Wenn ich eins nicht wollte, dann dies!


Nachdem ich mich (inzwischen schon etwas hysterisch ob der Aussichten) wieder selbst etwas runtergeholt hatte, stieß ich zum Kern der Aussage vor: Natürlich wurde ich nicht wie Uschi, aber – auch wenn es mir maximal schwerfiel – gestand ich mir ein, dass auch ich tatsächlich Zeit für mich brauchte bzw. eigene Bedürfnisse hatte, die gehört werden wollten.


Vorbei die Vision der eierlegenden Wollmilchsau-Bonusmutter, die stets für alle da war, stets guter Laune war und stets ihre eigenen Bedürfnisse hintenanstellte. Das Äffchen der Selbstliebe saß auf meiner Schulter und klopfte freundlich an. Nun denn – da war es wieder: das Thema Selbstliebe, das ich ja nun mal bekanntlich so scheue, wie der Teufel das Weihwasser.

Aber eigentlich ja auch gut, dass meine eigenen Bedürfnisse jetzt einmal polterten: „Stop! Bis hierhin und nicht weiter.“


Mir war klar, dass auch ich das „Recht“ auf einen Rückzugsort habe. Vielleicht ist es ja auch manchmal das, was einen so auf die Palme bringt: die Teenie-„Gören“ haben ein eigenes Zimmer, knallen die Tür zu, wenn sie keinen Bock mehr auf die Familie haben und ich als erwachsene Frau muss in meiner eigenen Wohnung wie ein Obdachloser herumlungern (ja, auch ich spreche fließend dramatisch/ theatralisch).


Auch wenn mir klar war, dass Marc dies auch nicht hat. Wobei mir Marc in der Diskussion zu dem Thema erklärte, dass Männer da auch deutlich flexibler seien als Frauen: Für Männer könnte auch wunderbar die Toilette oder eine Garage – so gesehen in der Nachbarschaft, wo sich die Männer Samstag nachmittags mitm Bier zum Schnacken treffen - als Rückzugsort fungieren. Nun – als Frau geht das natürlich nicht.


Ein Umzug, um mein „Problem“ zu lösen, erschien auch mir etwas übertrieben, so dass ich mir etwas anders überlegt habe: ein neues optimiertes Zeitmanagement.


Das neue optimierte Zeitmanagement

Dieses Zeitmanagement sieht so aus, dass ich zu erledigende (Nerv)Aufgaben auf die Besuchswochenenden lege. Bisher habe ich meist versucht, diese Aufgaben „in Ruhe“ an meinem freien Wochenende zu erledigen. Dies hatte zur Konsequenz, dass eigentlich alle Wochenenden verplant waren:

An den Besuchswochenenden ging es um die Kinder, an den freien Wochenenden wurde das aufgearbeitet, was man an den Besuchswochenenden nicht geschafft hat.


Dies mache ich jetzt anders: alle zu erledigenden Aufgaben werden auf das Besuchswochenende geschoben. Wenn die Kinder, die ja inzwischen auch schon 11 und 14 sind, und häufig überhaupt kein Interesse verspüren mit Erwachsenen etwas zu unternehmen, Lust auf gemeinsame Erlebnisse haben, nehme ich mir die Zeit. Haben sie keine Lust, widme ich mich allen nervigen Aufgaben: ich putze nun am Besuchswochenende die Fenster, miste den Keller aus, mache den Balkon sommerstarklar, pflanze Blumen ein und räume die Küche auf. Sofern Treffen mit anderen Bonusmamas oder Freundinnen anstehen, lege ich diese nunmehr bewusst auf die Besuchswochenenden, um mich auszuklinken. Derweil können die Teens TikTok schauen und Fortnite zocken. Wenn ich dann wiederkomme, können wir gerne gemeinsam etwas erleben.


An den letzten Besuchswochenenden hat es eigentlich ganz gut geklappt. Noch besser geklappt haben allerdings die freien Wochenenden, wo ich nun tun und lassen kann, wann und vor allen Dingen wo ich will. Und das einzige, was ich dann erledige, ist die Liste zu schreiben, was ich am nächsten Besuchswochenende an nervigen Aufgaben erledigen muss.


Wie ist bei Dir das Thema Rückzugsort? Hast Du schon mal ähnliche Gedanken gehabt? Oder hast Du vielleicht noch ein paar Tipps für mich, wie man noch anders damit umgehen kann?

Ich bin gespannt auf Eure Erlebnisse, Erkenntnisse und Anekdoten und freue mich über Eure Kommentare, Emails oder Anrufe.


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